Literary Trails, Urban Space and the Actualization of Heritage

Abstract

Der Blick auf die Websites der Touristeninformationszentralen von Städten weist in der Rubrik „Stadtrundgänge“ seit einigen Jahren einen neuen Trend auf: Rundgänge auf den Spuren von Romanen, sog. literary trails oder literary routes. Auf den Spuren einer fiktiven Persönlichkeit soll die Stadt erkundet werden. Dabei wird eine Route entwickelt, die den Touristen zu Schauplätzen der Romanhandlung führt und damit gleichsam die Handlung vor Ort nacherleben lässt. Bei historischen Romanen (wie z. B. „Der Schatten der Windes“ von Carlos Ruiz Zafrón oder „Die Kathedrale des Meeres“ von Ildefonso Falcones in Barcelona oder „Der Ketzer“ von Miguel Delibes in Valladolid) oder solchen, die stark auf die Geschichte zurückgreifen (wie z. B. „Illuminati“ oder „Sakrileg“ von Dan Brown) werden auf diese Weise historische Sehenswürdigkeiten aus einem neuen Blickwinkel miteinander verbunden. Anders als bei der touristischen Vermarktung klassischer Routen wie der Seidenstraße oder dem Jacobsweg werden literarische Rundgänge zwar erst für den Touristen erfunden, der diesen Wegen aber gleichsam wie ein Neo-Pilger folgt. Diese Zusammenhänge lassen sich mit Hilfe des Hallschen Kulturkreislaufmodells beschreiben: Im Sinne eines doing heritage findet das Kulturerbe nicht nur in tradierten lokalen Praxen Ausdruck, sondern formiert sich auch im globalen diskursiven Raum. Das Kulturerbe als tradierte Praxis wird unter bestimmten lokalen Rahmenbedingungen kodiert. Diese Kodierungen können durch globale Diskurspraktiken (wie z. B. in Diskursen über den Roman oder die Verfilmung des Romans) stabilisiert, dabei gleichsam aber auch externalisiert werden. Ein externalisiertes Kulturerbe, das aus seinem tradierten Rahmen herausgelöst wurde, seine ursprüngliche Bedeutung also verloren hat, wird nun unter neuen Rahmenbedingungen dekodiert und über z. B. über touristische Praxen dynamisiert. Welche Lesarten des Kulturerbes sich dabei jeweils als dominant-hegemonial erweisen, ergibt sich aus den gesellschaftlichen Kräften, die hinter der Artikulation der unterschiedlichen Bedeutungen stehen und diese durchsetzen.

Für die Stadt und ihr kulturelles Erbe lässt sich die „Erfindung“ der literary trails aus zwei Blickwinkeln betrachten, die anhand der oben genannten Romanbeispiele erörtert werden sollen: Einerseits eröffnet die Bezugnahme auf den Roman einer Stadt die Möglichkeit, sich und ihr kulturelles Erbe bekannter zu machen und über die touristische Wertschöpfung zum Erhalt des Kulturerbes beizutragen. Gerade Städten wie Valladolid, die auf der Landkarte des internationalen Tourismus bislang weniger prominent vertreten sind, eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten. Die globalen Diskurspraktiken im Rahmen der literary trails tragen in diesem Falle zur Stabilisierung der tradierten Kodierungen bei. Andererseits beinhaltet diese Art der Vermarktung aber auch eine verstärkte Disneyfizierung des Stadtraumes, die mit einer Kommodifizierung von Kulturerbe einhergeht. Über das literarisch implizierte theming wird dem Stadtraum eine neue Bedeutung zugeschrieben, die sich weniger an historischer Faktizität als an literarischer Fiktion orientiert. Die Diskurse über den „Da Vinci Code“ und die ihn ihm enthaltenen Verschwörungstheorien belegen dies. Kulturelle Erbe wird in diesem Fall externalisiert und die Geschichte der Stadt über den literary trail zur distory, zur disneyfizierten Geschichte.